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Aus allen Wolken gefallen: Cloud-Repatriierung, Rückzug aus der Cloud

Cloud-Computing ist in aller Munde. Man hört:

  1. Cloud ist modern.
  2. Cloud ist grün.
  3. Cloud spare Kosten.
  4. Cloud ist verkaufsfördernd.

Jedoch, die Euphorie bekommt Risse. Die vorhergesagten Kostenersparnisse treten nicht ein. Der Aufbau einer Cloud-Infrastruktur benötigt Zeit und erfordert spezielle Kenntnisse und Erfahrungen, die nicht überall anzutreffen sind. Nun mehren sich die Berichte, daß eine Reihe von hochkarätigen Firmen die Cloud wieder verlassen und zu selbst-administrierten Rechenzentren oder Colocationen zurückkehren. Was ist passiert?

1. Der Cloud Markt. Bevor wir das beantworten, ein Blick auf die Entwicklung des Cloud-Marktes. Die bekannten Spieler im Markt sind:

  1. AWS - Amazon Web Services
  2. Google Cloud Platform
  3. Microsoft Azure
  4. Oracle Cloud

Daneben gibt es eine Vielzahl von kleineren und regionalen Anbietern. Beispielsweise erzeugte Flexential im November 2023 Negativschlagzeilen.

In nachfolgender Tabelle sind die Umsätze in Milliarden (109) USD angegeben, gerundet auf volle Milliarden.

Anbieter/Jahr 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022
AWS 12 17 26 35 45 62 80
Google Cloud 4 6 9 13 19 26
Azure ("Intelligent Cloud") 25 27 32 39 48 60 75

Zahlen aus den Geschäftsberichten, siehe Literatur.

Es herrschte und es herrscht weiterhin Goldgräberstimmung in Anbetracht obiger Umsätze.

2. Klischees. Der ehemalige Google Ingenieur Nima Badizadegan beschreibt in Use One Big Server, daß parallel zum Wachstum von Cloud-Infrastruktur auch die Rechenleistung von Hardware enorm gestiegen ist. Ein kleiner, moderner Server deckt den Bedarf zahlreicher Anwendungen problemlos ab. Mehr noch, die üblichen Klischees von den Vorteilen einer Cloud-Lösung stimmen nicht, oder nur zum Teil. Im Nachfolgenden zugespitzt zusammengefaßt.

  1. Benutze ich Cloud-Infrastruktur, dann benötige ich keine Systemadministratoren — nein, das stimmt nicht.
  2. Benutze ich Cloud-Infrastruktur, dann muß ich mich nicht um Sicherheits-Patches kümmern — nein, das stimmt nicht.
  3. Benutze ich Cloud-Infrastruktur, dann muß ich mich nicht darum kümmern, ob der Rechner gerade nicht verfügbar ist — nein, das stimmt nicht.
  4. Ich kann in einer Cloud-Infrastruktur schneller Software entwickeln — nein, das stimmt nicht.
  5. Meine Arbeitslast für die Hardware ist sehr stark schwankend, mal viel, mal wenig — hier haben wir in der Tat einen echten Kandidaten.

Stark schwankende Rechenleistung ist der idealtypische Anwendungsfall für Cloud-Infrastruktur. Paart man dies mit der schnellen Verfügbarkeit der Rechenleistung, so begünstigt dies agiles Arbeiten und hohe Flexibilität. Hier ist auch der Fall der Miete von Spezialhardware zu nennen, wie beispielsweise GPUs oder FPGA. Ein Beispiel hierfür ist Modal Labs.

Ein anderes Klischee ist, daß Cloud-Infrastruktur besonders grün sei. Dazu muß man wissen, daß die großen Cloud-Anbieter, wie Amazon, Google, Microsoft, u.s.w., permanent Rechenkapazität vorhalten müssen. Andernfalls wäre es ja nicht möglich, daß kurzfristig zusätzliche Leistung zur Verfügung steht. Dieses Vorhalten von Leistung kostet Hardware und natürlich auch Strom und Abwärme, die abgeführt werden muß. Es ist das gleiche Dilemma in dem auch Fondsgesellschaften stecken: Diese müssen permanent eine Barreserve vorhalten, sodaß sie Verkäufern des Fonds aus der Barreserve bedienen können, ohne direkt ihre Kerninvestments verkaufen zu müssen, um an Bargeld zu kommen. Ähnlich auch bei den Autoverleihern, wie Avis, Sixt, Europcar u.s.w.: Es müssen permanent Autos vorgehalten werden, um den Verleihdienst jederzeit anbieten zu können. Im Unterschied dazu hat derjenige, der sich die Hardware kauft, die er für seinen Zweck benötigt, nicht unnütz Kapazität in seinem Rechenzentrum.

Die Cloud ist insoweit grün, als daß der Cloud-Anbieter aus Eigeninteresse sein Rechenzentrum sehr effizient baut. D.h. Rechenzentren dieser Anbieter erreichen eine "Power Usage Effectiveness" von ca. 1,1 oder sogar darunter. Power Usage Effectiveness ist das Verhältnis von Gesamtleistung (Kühlung+Hardware) zu aufgenommer Leistung der IT-Hardware. Spätestens ab 2030 müssen alle Rechenzentren eine Power Usage Effectiveness von kleiner oder gleich 1,3 erreichen (§11 Abs. 1 & 2), siehe Das Energieeffizienzgesetz.

3. Kosten. Vergleicht man die Miete von Rechnern bei einem großen Cloud-Anbieter mit der Selbstbeschaffung entsprechender Rechner, so ist die Beschaffung und der Betrieb des eigenen Rechners fast immer günstiger. Und zwar deutlich günstiger. Hierzu Nima Badizadegan:

Being cloudy is expensive. Generally, I would anticipate a 5-30x price premium depending on what you buy from a cloud company, and depending on the baseline. Not 5-30%, a factor of between 5 and 30.

Dies sind keine Einzelbeobachtungen. Kristian Köhntopp, Cloud Architekt Syseleven und ehemals Firma Booking, nun HERE Technologies, kommt zu ganz ähnlichen Ergebnissen:

Weil Cloud unglaublich teuer ist. In meinen Kostenrechnungen liegen die Kosten für Cloud-Deployments pro Monat in etwa gleichauf mit (oder höher als!) Kostenrechnungen für Bare Metal in eigenen Rechenzentren pro Jahr (Strom, Netz, anteilige Netzwerk-Hardware, Rechenzentrumsplatz und alles andere inbegriffen).

Und weiter:

Andersherum bedeutet das, daß man das eigene Bare Metal hemmungslos überdimensionieren kann und immer noch unter AWS-Preisen herauskommt.

4. Repatriierung. Bei diesen immensen Kostenunterschieden ist es nur eine Frage der Zeit bis die ersten bekannten Firmen umsatteln.

  1. Dropbox wechselte von AWS zu einem eigenem Rechenzentrum und spart 75 Millionen USD.
  2. 37signals.com (Handelsmarken Basecamp und HEY) spart monatlich 60% der Kosten, das sind ca. 10 Millionen USD.
  3. Twitter berichtet Oktober 2023 ebenfalls von einer 60% Kostenreduktion, das sind 100 Millionen USD.

Optimized our usage of cloud service providers and began doing much more on-prem. This shift has reduced our monthly cloud costs by 60%.

  1. Sofascore reduzierte seine Kosten um den Faktor 10.

Es zeichnet sich sogar das Berufsbild eines Cloud-Repatriierungsexperten ab. Dies letztlich verursacht durch eine zu hastige und einseitige Migration zahlreicher Rechenzentren in die Cloud in den letzten Jahren. Nun wo der Kostenschuh drückt, besinnt man sich auf kosteneffiziente und angepaßte RZ-Lösungen.

5. Fazit. Cloud-Infrastruktur erweitert die Möglichkeiten des Software-Architekten und bietet neue Möglichkeiten für Web-Anwendungen, Datenanalysen und Speicherung. Insbesondere ihre zügige Verfügbarkeit erleichtert agiles Arbeiten — Hardware auf Knopfdruck.

Hingegen, eine schemenhafte Anwendung neuer Dienste führt nicht zwangsläufig zu kosteneffizienten Lösungen. Die in manchen Unternehmen anzutreffende "Cloud first" Strategie (Vorrang der Cloud vor eigenem RZ) schränkt die Vielfalt der Möglichkeiten ein. Sie ersetzt die Tugenden Sparsamkeit und Handwerklichkeit durch Zeitgeist und Gehorsam.


Literatur

  1. Nima Badizadegan on Cloud Computing
  2. Cloudflare Dashboard Down
  3. Amazon Annual reports, proxies and shareholder letters
  4. Amazon 2018 Annual Report
  5. Amazon 2020 Annual Report
  6. Amazon 2021 Annual Report
  7. Alphabet 2022 Annual Report
  8. Microsoft Annual Report 2017
  9. Microsoft Annual Report 2020
  10. Microsoft Annual Report 2021
  11. Microsoft Annual Report 2022
  12. Various Quotes from Kristian Köhntopp
  13. David Heinemeier Hansson on Cloud Computing
  14. Josep Stuhli On Scaling to 20 Million Users
  15. Why companies are leaving the cloud
  16. How Ahrefs Saved US$400M in 3 Years by NOT Going to the Cloud
  17. How Ahrefs Gets a Billion Dollar-Worth Infrastructure With a 90% Discount
  18. Admins wonder if the cloud was such a good idea after all
  19. Unternehmen ziehen sich teilweise aus der Cloud zurück